Der Planet brennt. Eine nicht enden wollende Hitzewelle gibt den armen Sündern überall auf der Welt einen Vorgeschmack aufs leibhaftige Fegefeuer. Und mitten in diesem Wahnsinn, inmitten der Gluthitze, hält sich ein einziger Mann aufrecht. Und an seinem Grill fest. Dort schmurgelt, von den wachsamen Augen des Mannes beschützt, ein duftendes Nackensteak. Es ahnt nicht, dass Milliarden böswillig randalierende militante Veganer schon überall in den Gebüschen lauern – sofern sie die nicht vorher versehentlich aufessen – um den Mann und das Steak um ihren „klasse Sommer“ zu bringen.
So, Verzeihung, ich muss mich kurz mäßigen.
Geht wieder.
Was ich eigentlich gerne mal wissen möchte: Wann – und vor allem warum – hat das angefangen, dass wir uns wegen unserem Essen eigentlich gegenseitig an die Gurgel gehen? Das diesjährige Sommerloch scheint vielmehr ein Schützengraben zu sein, in dem sich auf der einen Seite die Fleischesser und auf der anderen die Nicht-Fleischesser gegenüber liegen und sich gegenseitig mit rohen Koteletts und Tofuklumpen bewerfen. Worum es eigentlich geht, weiß auch eigentlich längst keiner mehr. Trotzdem klatscht man dem erklärten Fressfeind weiter das Steak aufs Auge – oder das Seitanwürstchen. Ob es der gemütliche Fast-Rentner ist, der sich um das Schweinenackensteak auf seinem Kugelgrill sorgt oder der Veganer oder Vegatarier, der einem anderen über seinem Schniposa beschreibt, wie sehr sein Schnitzel vor seinem Tod gelitten hat – ständig scheint jemand irgendwie das Essen auf jemand anderes‘ Teller als seine eigene Mission anzusehen.
Bringen tut das Ganze nichts – weder zum Guten noch zum Schlechten. Der Grill-Fan klammert sich nur umso verzweifelter an seine Grillhaxe, je mehr der Veganer ihn zu bekehren versucht. Und der Veganer fühlt sich nur noch mehr in die Ecke gedrängt und zum Äußersten bereit, je mehr man seine moralischen Absichten bagatellisiert und ihn als irren, gewaltbereiten Hippie-Idioten hinstellt. Es kann natürlich sein, dass dieses Fress-Scharmützel beiden Seiten irgendwie Spaß macht, weil es so kurzweilig ist und es Spaß macht sich zu echauffieren. Aber ich denke fast, darüber sind wir inzwischen hinaus.
Ein paar beschwichtigende Worte vorab
Niemand macht alles richtig. Niemand. Ein Veganer mag zwar mit seiner Ernährungsgewohnheit dazu beitragen, dass weniger Tiere leiden müssen. Aber das ist „nur“ ein Übel von vielen Übeln auf der Welt. Unsere verkorkste Erde hat noch mehr auf Lager: Umweltverschmutzung, Klimawandel, Rassismus, Kriminalität, Sexismus, Krieg, Hunger, Drogenmissbrauch, Ausbeutung auf vielen verschiedenen Ebenen … um nur ein paar davon zu nennen. Niemand kann alleine die Welt retten. Und auch der Fleischesser kann in diesem Szenario nicht automatisch der einzige Oberfiesling sein, weil er Fleisch isst. Gleichzeitig ist das wiederum nur eine einzige Eigenschaft dieses Menschen und wer eine Person aufgrund ihres Mittagessens verurteilt, der urteilt mit großer Wahrscheinlichkeit zu schnell und zu harsch. Umgekehrt ist es auch kein Zeichen von Größe bei den Veganern im Dreck zu wühlen, nur um zu zeigen, dass die ja auch nicht alles richtig machen. Nur um dann wiederum daraus zu folgern, dass man selber dann ja auch gar nichts ändern braucht, weil – „die sind ja auch keine Heiligen“. Dieser ganze „Food-War“ dient eigentlich, auf einen Nenner herunter gebrochen, nur einer Sache: Uns selbst über andere zu stellen. Es scheint weniger um die Tiere oder um das vermeintlich harmlose Grillwürstchen zu gehen, als vielmehr um unser eigenes Ego und um uns zu bescheinigen, dass wir recht haben und die anderen falsch liegen. Weder die Tierwelt noch das Grillwürstchen haben davon auch nur das Geringste. Und auch für unser Ego geht der Schuss fein säuberlich nach hinten los, denn weder werden die Veganer den Fleischesser als überlegene Spezies anerkennen, noch umgekehrt. Eher verharren beide Lager bockig in ihren jeweiligen Schützengräben. Wenn das nun aber eben alles nichts bringt:
Warum nörgeln wir überhaupt so?
Die Psychologin Evelyn Summhammer schreibt beispielsweise in ihrem Buch „Nörgler, Besserwisser, Querulanten: Wie Sie schwierige Menschen zielsicher steuern„, dass Nörgler, Besserwisser und Querulanten vor allem eines wollen: Aufmerksamkeit.
(Und als kleine Fußnote möchte ich noch anführen, dass ich nicht viel davon halte Menschen „zielsicher zu steuern“, aber einige Aspekte aus dem Buch sind dennoch interessant. Überhaupt schadet es nie, alles, was man liest, kritisch zu lesen)
Dahinter soll eine Prägung aus der Kindheit stecken. „Wenn ich etwas besser weiß, werde ich belohnt“ zum Beispiel. Oder vielleicht auch „Wenn ich mich beschwere, werde ich beachtet“. Irgendwo unterbewusst, tief in den Windungen unserer aufgebrachten Gehirne haben wir also möglicherweise den verqueren Glaubenssatz stecken, dass Nörgeln und Besserwissen etwas Gutes ist, das belohnt wird. Vielleicht sogar „Wer nörgelt, hat recht“. Ich erinnere mich selbst noch dunkel daran, dass meine Mutter einen ziemlichen Eindruck auf mich gemacht hat, immer, wenn sie sich über etwas aufregte. Wer wütet, macht sich groß. Auf den ein oder anderen macht das eben Eindruck und manch einer duckt sich lieber weg. Was uns wiederum glauben machen kann, wir hätten recht. Aber wie auch immer: Step 1 beim Umgang mit Nörglern – oder „Fressfeinden“ aus dem anderen Lager:
1. Die Erkenntnis, dass der „Fressfeind“ wahrscheinlich aufrichtig glaubt, dass er etwas richtig macht.
Ganz unabhängig davon, was aus einem moralischen, gesellschaftlichen, sozialkritischen oder sonst einem -ischen Standpunkt aus richtig sein mag. Diese Erkenntnis könnte uns wiederum zu der Einsicht führen, dass unser Essens-Kontrahent uns wahrscheinlich persönlich gar nichts Böses, sondern sich selbst vielmehr schützen will. Selbst wenn wir uns noch so sehr bemühen, die wenigsten von uns gehen jederzeit total offen durch die Welt und sind stets bereit, Prinzipien oder Ansichten (die er oder sie mitunter schon Jahre mit sich herumträgt) einfach mal über Bord zu werfen. (Und wahrscheinlich dann schon zwei Mal nicht, wenn das Gegenüber seinerseits wütend und verurteilend auftritt, aber das ist eine andere Geschichte.) Was dann folgerichtig zu Step 2 führt:
2. Eingestehen, dass man selbst wahrscheinlich nicht alles richtig macht
Ich bin seit einigen Monaten – wieder – Vegetarierin. Dass macht mich sogar ziemlich stolz, denn Fleisch essen hat sich schon eine Weile einfach nicht mehr gut angefühlt und jetzt ziehe ich es endlich durch. Trotzdem ist meine Weste dadurch nicht strahlend weiß. Ich esse noch immer oft in der Mittagspause einen Salat aus der unseligen Plastikbox, benutze Schminke, von der ich nicht mit letzter Sicherheit weiß, wie sie hergestellt wurde, mein Kleiderschrank besteht nicht aus Fair Fashion und wenn ich verreise, reise ich mit Vorliebe weit weg, obwohl Flugreisen verflucht schädlich für das Klima sind. Außerdem bin ich ja auch nur Vegetarier und damit tue ich ja noch nicht mal in dem von mir auserkorenen Bereich alles, was möglich ist. All das könnte ich ändern, aber im Moment habe ich das noch nicht, also sollte ich meine Mund vielleicht lieber nicht zu voll nehmen. Den Fleischesser macht es trotzdem nicht zu einem besseren Menschen, mir Vegetarierin meine „Verfehlungen“ aufzuzeigen. Außerdem macht es eine gute Tat nicht unbedingt „heiliger“, wenn man sie an die große Glocke hängt.
Vor ein paar Tagen hat mir eine liebe Bekannte das Konzept von „Sawab“ erklärt. Es kommt aus dem Arabischen und bezeichnet eine uneigennützige gute Tat, um die man aber kein großes Aufhebens macht im stillen Wissen, dass man dafür schon über kurz oder lang Gutes zurückbekommen wird. Ich habe das Gefühl, viele könnten eine gehörige Portion Sawab gebrauchen. Eine gute Tat wird nicht erst gut, wenn wir dafür Beifall bekommen. Und sie wird auch nicht besser, wenn wir sie anderen unter die Nase reiben und sie herabsetzen.
3. A little bit more Selbstlosigkeit, please
„Selbstlosigkeit“ ist nicht gerade ein super-fancy Begriff in einer Gesellschaft, in der Ellenbogen und Durchsetzungsvermögen und Eier in der Hose am meisten zu zählen scheinen (und Eier in der Hose ist auch nicht gerade vegan). Trotzdem könnte es uns einiges an Nerven sparen, wenn sich jeder eine Brise Selbstlosigkeit über sein wie auch immer geartetes Essen streuen könnte. Die meisten Menschen möchten irgendwie gute Menschen sein. Die Ansichten darüber mögen verschieden sein, der andere legt mehr Wert darauf, der andere auf etwas anderes. Aber im Grunde – wage ich zu behaupten – kommt nahezu niemand auf die Welt mit der Absicht ein richtiges Arschloch zu werden, wenn er oder sie groß ist. Wir könnten – steile These – versuchen, die Bemühungen anderer anzuerkennen und einfach im Stillen an uns arbeiten – da, wo wir uns berufen fühlen und wo wir es für nötig halten. Und vielleicht inspirieren uns andere ja sogar dazu, das ein oder andere zu ändern oder bewusster für etwas zu werden, das wir bislang noch nicht auf dem Schirm hatten. Wenn wir vielleicht kurz innehalten, bevor wir die Mistgabeln rausholen und aufeinander los gehen.
Der große Persönlichkeitsentwicklungs-Großmeister Dale Carnegie sagte dazu:
„Kritisieren, verurteilen und sich beschweren kann jeder Narr. Und die meisten Narren tun das auch. Verständnis zu haben und zu verzeihen dagegen erfordert Charakter und Selbstdisziplin.“
Genörgelt und gehetzt ist schnell, das ist einfach. Und vielleicht gibt es aus diesem Grund auch so viel Genörgel und Gehetze. Aber auf lange Sicht bringt uns das nicht weiter.
Ich hoffe – ganz im Stillen – dass dieser Krieg der Essgewohnheiten vielleicht bald im Sommerloch sein wohlverdientes Grab findet. Die Hoffnung stirbt ja schließlich zuletzt.
Bis dahin, wünsche ich euch einen guten Appetit, egal, was bei euch auf dem Teller liegt. Und vergesst nicht die Selbstlosigkeits-Soße, die schmeckt zum Schnitzel genau so gut wie zur Buddha-Bowl.