Manchmal ist Deutsch eine unfassbar ungelenke und ungraziöse Sprache.
Weil, guck mal: Persönlichkeitsentwicklung!
Per-sön-lich-keits-ent-wick-lung.
Ein siebensilbiges Textmonster, das Dich schon erschlägt, während Du noch versuchst, es auszusprechen. Man kann „Persönlichkeitsentwicklung“ nicht beiläufig erwähnen. Es kann nicht humorvoll klingen, nicht locker oder unbeschwert. Das Wort brettert krachend auf die Erde wie ein Amboss im Trickfilm, egal, wann und zu wem Du es sagst.
„Ach, Du bloggst? Wovon handelt Dein Blog denn?“
„Ach, im weitesten Sinne über Persönlichkeitsentwicklung, so.“ („Per-sön-lich-keits-ent-wick-lung! Bäm!“)
„Ah …“
In der Regel brechen die Gespräche hier ab oder verebben so ganz langsam. Das Silbenmonster hinterlässt fast immer irgendwie Schweigen. Manch einer versteigt sich noch kurz auf eine halbherzig-höfliche Frage und hofft auf keine lange Antwort. Viele glauben „Uh, dieses Psychozeugs“. Die werden dann vorsichtig.
Manche denken „Ach, so Hippiezeugs“. Das ist ok. Man wird höchstens belächelt.
Und ein paar wenige verorten einen in der Esoterik-Ecke und glauben, Du pendelst jeden Morgen erst mal die Schwingungen Deines Frühstücks aus. Die nehmen dann in der Regel die Beine in die Hand.
Vor kurzem wurde ich gefragt: „Warum eigentlich Persönlichkeitsentwicklung?“
Ich hatte erst mal gar keine Antwort außer: „Was sonst?“
Denn die Persönlichkeitsentwicklung (so ungemütlich das Wort auch klingt) gehört inzwischen so selbstverständlich zu meinem Leben, dass ich gar nicht mehr darüber nachdenke. Mich nicht damit zu befassen kommt mir beinahe absurd vor.
Persönlichkeitsentwicklung ist der Grund, auf dem Du stehst, nachdem Du ins Kaninchenloch gefallen bist und erkennst, dass die Welt irgendwie plötzlich auf dem Kopf zu stehen und nicht mehr so viel Sinn zu machen scheint. Sie ist kein Hobby wie eine Briefmarkensammlung. Sie ist kein Interesse wie „Ich gehe gern ins Theater“. Sie ist eher eine Lebenseinstellung. Eine Lebensaufgabe.
Und sie kommt in Dein Leben, sobald Du Dir eine Frage stellst:
Was will ich wirklich?
Die Frage schleicht sich an. Bei mir war es erst ein komisches Gefühl. Als wäre ich über Nacht plötzlich aus meiner eigenen Haut herausgewachsen. Als würde ich gar nicht mehr so wirklich in das Leben passen, das ich führte. Eine Weile wummerte die Frage nur dumpf in meinem Bauch wie ein Bass von weit weg. Irgendwann wurde es drängender. Ich war ein Handy auf Vibrationsalarm und niemand ging ran. Irgendwann war das Gewummer jedoch so nervig, dass ich hinhören und mir die Frage stellen musste. Bin ich hier wirklich richtig? Die Antwort war: Nein. Und was dann?
So fängt es an. Ein Zurück gibt es dann nicht mehr. Hast Du ein Mal den Blick hinter den Vorhang gewagt, dann kannst Du an die Illusion nicht mehr glauben. Dann willst Du lieber etwas Echtes als eine gut gemachte Täuschung, egal, was das eben kostet.
Es kostet Dich Anstrengung.
Du könntest Dich auch einfach treiben lassen und mit dem Strom schwimmen. Wenn Du dabei jedoch plötzlich bemerkst, dass Du gar kein Fisch bist, dann funktioniert das nicht mehr. Dann ist einfach mitspielen genau so unangenehm wie auf die Suche nach dem zu gehen, was für Dich wichtig ist. Und dann gehst Du eben irgendwann los.
Das ist Persönlichkeitsentwicklung. Deswegen Persönlichkeitsentwicklung.
Sie bedeutet nicht, dass ich mich weiter entwickeln will wie ein Pokémon – immer eine Stufe höher, immer besser, um andere mit irgendeiner Superattacke fertig machen zu können. Sie ist kein Halt, an den ich mich klammere vor lauter psychischer Not. Sie ist einfach nur die Suche nach dem, was für mich richtig ist. Die Suche nach dem Ort, an dem ich so richtig ich sein kann, so wie ich gemeint bin, so wie es passt. Nur der Name dafür klingt eben leider grob wie ein Amboss.
Und wenn Dir irgendwann mal der Amboss Per-sön-lich-keits-ent-wick-lung vor die Füße fallen sollte und Dir die eine Frage plötzlich durch den Schädel wummert – schmiede Dein Eisen darauf, solang es heiß ist.