Heute ist es soweit: Ich darf ganz offiziell auf diese Ü30-Partys. Das sind die mit den neonfarbenen Plakaten. Oder wie wir früher sagten: Das Reste-Buffet. Autsch. Bin ich echt so alt wie die 30-jährigen damals als ich 20 war? Herzliche Grüße aus der Sinnkrise!
Vor ungefähr zehn Jahren saß ich meinen Freundinnen in einem Irish Pub gegenüber. Es war ein Montag, Karaoke-Abend. Wir hatten schon „Zombie“ und „Bohemian Rapsody“ gesungen und jede zwei Tequila-Zimt gezwitschert. Seit Mitternacht war ich offiziell 20 Jahre alt. Himmel, klang das alt! Die Teenager-Zeit war vorbei. Nun würden alle von mir erwarten, dass ich total erwachsen war. Verantwortungsbewusst und vernünftig und so. Und ich ahnte schon, diesen Ansprüchen würde ich nicht allein deswegen gerecht werden, weil nun eine „2“ bei meinem Alter vorne stand. Und diese ganze Studium-Sache war auch noch ziemliches Neuland und total verwirrend. Puh.
Jetzt, zehn Jahre später, steht der 30. ins Haus und ich habe wieder genau die gleichen Gedanken. Nun werden alle von mir erwarten, dass ich total erwachsen bin. Verantwortungsbewusst und vernünftig und so.
Und erneut ahne ich schon: Diesen Ansprüchen werde ich nicht gerecht werden, nur weil nun eine „3“ bei meinem Alter vorne steht.
Die Sache mit den Erwartungen
Im Gegensatz zum 20., an dem wirklich niemand irgendetwas von mir erwartete, werde ich inzwischen aber doch mit der ein oder anderen Erwartung konfrontiert. Und das ist nicht so, dass irgendjemand sagt: „Christina, ich erwarte jetzt von dir, dass du X und Y tust.“ Es wird nämlich VORAUSGESETZT, dass ich das alles einfach von alleine will.
Heiraten. Ein Eigenheim kaufen. Kinder kriegen. Zur Ruhe kommen. Rücklagen schaffen. Eine Zahnschutzversicherung abschließen.
Das ist alles ein bisschen verrückt. Ich habe selbst langelangelange geglaubt, dass ich all das will. Weil man das halt so macht, weil mir das vorgelebt wurde und weil ich das auch alles toll fand, als ich „das Kind“ war. Mit 20 habe ich noch von der Hochzeit in Weiß mit meinem Traummann geträumt, dachte, dass ich so mit Ende 20 bestimmt Kinder kriege und ein Haus mit Garten war auch hoch im Kurs. Aber je näher die Ende-20-Marke rückte, desto mehr machte mir das zu schaffen. Fühlte sich ein bisschen so an, wie eine Pflichtaufgabe. Oder wie ein Schuh, der einfach nicht so richtig passt und in den man sich hineinquetschend will, weil das Märchen eben so geht. Schuh anziehen, Prinz heiraten und wenn sie nicht gestorben sind …
Nun bin ich ja für meinen „Dickschädel“ berühmt. Ich hätte also einfach die Rebellin spielen und einfach genau das Gegenteil von dem machen können, was man von mir erwartet. In your face Gesellschaft! Und so.
Es war aber so, dass ich einen Punkt auf der „30-to-do-Liste“ schon abgehakt hab und mich damit aus Gesellschaftssicht total auf Kurs befinde: Die Hochzeit.
Kurz vor meinem 30. Geburtstag hab ich total planmäßig geheiratet. Einen wunderbaren Mann, der sicher wunderhübsche Kinder produzieren könnte und ein liebevoller Vater wäre. Einer mit nem festen Job, mit dem ich mir ein Eigenheim und ein hübsches Familiennest aufbauen könnte. Es war der beste Tag in meinem Leben. So wie es sein soll.
Diese Hochzeit habe ich mir von Herzen gewünscht und ich bereue nichts daran. Doch sie hat dazu beigetragen, dass die Erwartungen nun ein bisschen drängender werden, nun da ich 30 bin und ja schließlich „die Uhr tickt“.
Schon auf unserer Hochzeit wurde immer öfter von Kindern gesprochen. Meine Schwiegermutter freut sich schon über Enkel, viele Verwandten wünschten uns „genau so eine tolle Familie wie wir“ zu werden. Auf der Arbeit wurde schon darüber verhandelt, wann ich wohl schwanger werden und in Elternzeit gehen würde. Dabei wurde auch vorausgesetzt, dass selbstverständlich ich als „die Mutter“ mindestens ein Jahr weg sein würde.
Wie zwei ferngesteuerte Lemminge ließen wir uns vor kurzem auch durch ein Haus in einem heimeligen Dörfchen in der Nähe führen und uns auf der Bank vorrechnen, wie viel wir monatlich abdrücken müssten, um uns diesen Familientraum mit eigenem Garten leisten zu können (sehr viel, im übrigen).
Aber der Funke sprang nicht über. Ich dachte lange darüber nach, warum nicht. Dann wurde mir klar: Es war ein bisschen so, als würde ich an meinem eigenen Mausoleum bauen. An der „Endstation“. Obwohl sich nichts in mir danach sehnte. Klingt dramatisch. Ein Eigenheim ist ja nichts Furchtbares. Und Kinder ja sowieso nicht, im Gegenteil.
Aber es ist nichts für mich. Jetzt zumindest nicht. 30 hin oder her.
Was 30 Jahre bedeuten und was nicht
Ich habe mit meiner Mutter oft über meine 30er-Krise geredet. Ich habe das große Glück, dass meine Eltern mir zum Glück überhaupt keinen Druck machen, weder auf Enkel noch auf ein Eigenheim pochen. Nicht mal auf eine Zahnschutzversicherung. Und wir drehten uns oft genug im Kreis. Etwa so:
Ich: „30 klingt so ALT. Ich bin doch gar nicht so alt …“
Mama: „Du siehst ja aber gar nicht so aus wie 30.“
Ich: “ Also findest du AUCH, dass 30 alt ist …“
Mama: „Nein, 30 ist doch nicht alt!“
Ich: „Aber ist es jung?“
Mama: „Naja, ganz jung ist das jetzt auch nicht.“
Ich: „Was????!“
Mama: „Na, aber auch nicht alt.“
Ständig war ich damit beschäftigt zu definieren, wo genau sich die 30 zwischen „jung“ und „alt“ befindet. Damit ich definieren konnte, wo ich nun stehe. Hinke ich im Leben hinterher? Oder habe ich meinem Alter gemäße ausreichende Leistungen erbracht? Habe ich versagt? Bin ich „on track“? Liegt das beste jetzt schon hinter mir?
In Prinzip klopfe ich mich also genau nach den Erwartungen ab unter denen ich zu leiden behaupte.
So ein Blödsinn.
30 ist alt und jung. Beides. Alt genug, um Dinge zu tun. Jung genug, um andere Dinge zu tun.
30 ist vielleicht sogar die ultimative Freiheit. Wenn man es schafft diese blöden Erwartungen dort hin zu packen, wo sie hingehören: Zum Alteisen.
30 ist alt genug für …
Du bist 30, yeah!
- Endlich alt genug, um ernst genommen zu werden. Nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren wie „frisch nach dem Studium“.
- Du hast sowas wie Werte entwickelt – unabhängig von dem, was „die Erwachsenen“ von dir wollen
- Du hast dich mit so manchem kritisch auseinandergesetzt, Konzepte und Einstellungen hinterfragt und gegebenenfalls verworfen
- Du beginnst langsam aber sicher eine Ahnung davon zu bekommen, was du wert bist. Du zerfließt nicht mehr vor Dankbarkeit, weil man dich für einen Hungerlohn wo eingestellt hast und lässt dich nicht mehr so ausnutzen (und wenn doch, dann regt sich in dir vielleicht langsam ein kleines Flämmchen, das dich fragt „Ob das hier wirklich richtig ist?“)
- Du weißt langsam, was du vom Leben willst und hast die Power und die Erfahrung deinen Weg zu suchen und zu gehen.
- Du hast gelernt manches loszulassen und stellst langsam fest, dass deine eigenen Flügel dich prima tragen können
- Du kennst dein „Warum“ oder bist auf der Suche danach
- Du wagst dich aus der Deckung und traust dich, du selbst zu sein
- Dir sind Äußerlichkeiten nicht mehr so wichtig wie früher – zu recht!
- Du weißt, wer dir gut tut und wer nicht und versammelst langsam aber sicher die Leute um dich herum, die dich lieben so wie du bist und die dir gut tun – und die anderen traust du dich gehen zu lassen oder sie nicht mehr so wichtig zu nehmen
30 ist jung genug für …
Du bist 30, yeah!
- Immer noch jung genug, um die Nächte durchzufeiern, wenn du das möchtest. (Auch wenn das nicht mehr jedes Wochenende sein muss und man das mit dem Auskatern inzwischen gut einkalkulieren muss.)
- Du hast die Verantwortung über dein Leben (und das deiner Kinder, falls du welche hast) – das heißt aber nicht, dass du alles so machen musst, wie deine Eltern oder andere Erwachsene, die älter sind als du. Du kannst deinen eigenen Weg suchen.
- Du bist noch jung genug, um nicht auf alles eine Antwort wissen zu müssen. Das ist vollkommen ok.
- Du bist jung genug um nochmal einen ganz anderen Weg einzuschlagen, wenn du das möchtest
- Du bist noch jung genug um die Welt zu bereisen – langsam aber sicher hast du dafür ja vielleicht auch eher die Mittel
- Du bist eigentlich für alles verdammt nochmal jung genug
Wenn du im rosa Tüllrock auf ne Hüpfburg willst, dann go for it (und lass dir von den glotzenden Fünfjährigen nicht den Spaß verderben)!
30 ist eine Zahl. So wie 20 so wie 40. Diese Zahl sollte nicht entscheiden, wie wir unser Leben leben (und mein Ding waren eh schon immer eher die Buchstaben und nicht die Zahlen … ).
Die Entscheidung liegt bei dir ganz allein. Du bist dein eigener Maßstab.
Mit welcher Art von Leben willst du die Anzahl deiner Jahre füllen?
Ach Christina, hätte ich diesen Beitrag mal vor meinem 30. Geburtstag gelesen!
Du hattest meinen eigenen Beitrag dazu ja kommentiert und ich sehe, die meisten von uns treiben dieselben Sorgen um. Jetzt gilt es, ein gefestigtes, der Gesellschaft entsprechendes Leben zu führen. Alleine bei der Vorstellung stellen sich mir schon die Haare auf.
Dabei geht es eigentlich – wie in allem – um das, was man selber will. Haus, Ehe, Kind, Hund – go for it. All das nicht – oder nur ein Teil davon – go for it.
Schön, dass du dir da nichts hast einreden lassen.
Deine „alt genug/jung genug für“ -Aufstellung ist eine tolle Idee, um mal schwarz auf weiß zu sehen, dass es eigentlich gar nicht so schlimm ist, 30 zu werden. Bzw. eigentlich verändert sich sowieso nichts, wie ich inzwischen festgestellt habe. War mir zwar irgendwo klar; trotzdem – der gesellschaftliche Druck ist mit Ende 20 einfach immer fester zu spüren.
Aber wie du sagst: Alter ist nur eine Zahl und jeder sollte sein Leben so leben, wie er/sie es für richtig hält. Word!
Oh und: So ein schönes Hochzeitsfoto! Es strahlt soviel Freude und Liebe aus.
Liebe Grüße,
Chrissi
Hey Chrissi!
Danke für Deinen lieben Kommentar! Ja, Mensch, die 30 bringt so einiges in Bewegung. Aber jetzt so im „Nachhinein“ find ich das ja gut. Da stellt man doch nochmal so manches infrage, was man vorher einfach so angenommen hat. Die 30er werden bestimmt ne interessante Zeit. 🙂
Liebe Grüße
Christina